Gegenverkehr auf der Milchstraße: absurder Vorschlag des EU-Parlaments

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Rätselraten im Supermarkt: Geht es nach dem Willen des EU-Parlaments, sollen pflanzliche Milchprodukte in Zukunft nur noch schwer erkennbar sein

(Presseaussendung, Wien, 10. Februar 2021) Der derzeit verhandelte Abänderungsantrag AM 171 des EU-Parlaments würde die Kennzeichnung und Auslobung von pflanzlichen Alternativen zu Milchprodukten massiv einschränken und benachteiligen. Die Argumente dafür sind sachlich nicht nachvollziehbar. Nicht nur das, sie sind aus der Zeit gefallen und widersprechen nationalen und internationalen Nachhaltigkeitsstrategien.

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Hitzige Debatte auf EU-Ebene über Kennzeichnungseinschränkungen für pflanzliche Milchalternativen
„Wir sind tief besorgt über den vom EU-Parlament am 23. Oktober letzten Jahres beschlossenen Abänderungsantrag AM 171, der die Kennzeichnung von Ersatzprodukten von Milch auf pflanzlicher Basis massiv einschränken und benachteiligen würde“, sagt Karl Fischer, Obmann des Vereins „Soja aus Österreich“. Der Antrag wird in diesen Wochen im Rahmen der Debatten über die Reform der EU-Agrarmarktordnung verhandelt. Im Trilog zwischen der EU-Kommission, dem EU-Parlament und dem EU-Agrarministerrat muss ein Einvernehmen über eine konkrete Ausformulierung der neuen Regelungen gefunden werden.

Sojadrinks künftig nicht mehr im Tetrapak und Haferdrinks nicht mehr in der Glasflasche?
Eine stärker pflanzenorientierte Ernährung ist unverzichtbar für den Klimaschutz. Trotzdem dürfen seit  2017 Alternativen auf pflanzlicher Basis nicht mehr als „Milch“, „Käse“ oder „Joghurt“ bezeichnet werden. „Wenn die neuen Ziele des EU-Parlaments umgesetzt werden, drohen weitere Restriktionen. Dann dürfen pflanzliche Produkte auf Verpackungen und im Marketing nicht einmal mehr darauf hinweisen, dass sie wie Milchprodukte verwendet werden können, etwa zum Binden von Soßen“, so Fischer. Der Begriff „Milchersatz“ wäre verboten, ebenso der Hinweis „pflanzliche Alternative zu Milch“, vergleichende Hinweise wären untersagt – etwa bezüglich des ökologischen Fußabdrucks.

Ja, nicht nur die Aufmachung, selbst die Verpackung selbst könnte bei weiter Auslegung problematisiert werden – sie müsste sich zukünftig vom Erscheinungsbild klassischer Milchprodukte unterscheiden, es dürften u. a. keine Gläser mit dem Produkt abgebildet werden. Tetrapaks für Hafer-Drinks oder Becher für Soja-Desserts könnten demnach genauso verboten werden wie etwa die Glasflasche für einen Drink hergestellt aus Dinkelkörnern, wie er seit Mitte 2020 erfolgreich von der Berglandmilch, Österreichs größter Molkerei mit Sitz in Niederösterreich, hergestellt und vermarktet wird.

Wer verwechselt schon Leberkäse mit Butterkäse?
Diese weiteren Einschränkungen werden von den Betreibern dieser Initiative damit begründet, dass man Verbraucherinnen und Verbraucher vor Irreführung schützen müsse. „Dieses vorgetragene Argument spricht den Konsumenten die Mündigkeit ab“, urteilt Karl Fischer. Auch die BEUC, der europäische Verbraucherverband, meint in einer Stellungnahme, dass man mit der derzeit gültigen Regelung leicht das Auslangen findet.

Und das Argument ist auch sachlich falsch: Konsumentinnen und Konsumenten kommen seit Jahrzehnten sehr gut damit zurecht, im Kühlregal des Supermarktes Milchprodukte angeboten zu bekommen und gleichzeitig einige Meter davon entfernt Produkte aus dem Nonfood-Bereich, die ebenfalls den Wortbestandteil „Milch“ in sich tragen wie etwa Sonnenmilch, Gesichtsreinigungsmilch, Scheuermilch oder Sheabutter für Reinigungszwecke. „Uns sind keine Probleme bekannt, die durch allfällige Verwechslungen entstanden sein sollen – obwohl sie deutlich gravierender wären, als wenn jemand irrtümlich statt der Vollmilch bei der Herstellung eines Milchrahmstrudels einen Soja- oder Haferdrink verwenden würde“, so Fischer.

Verbraucherinnen und Verbraucher können auch gut mit den Begriffen Kokosmilch umgehen, ebenso mit Erdnussbutter oder mit dem in Österreich so beliebten Leberkäse – niemand würde hier ein Verwechslungsproblem mit Produkten aus der klassischen Milchwirtschaft sehen.

Schon Kaiser Rudolf I. liebte Mandelmilch
Natürlich stimmt es, dass es sich bei Leberkäse oder Erdnussbutter zumeist um traditionelle Begriffe handelt. Aber dann dürfen wir die Frage stellen, bis wann zurück eine Zeitspanne reichen muss, um eine Tradition begründen zu können? An dieser Stelle sei auf einen ganz besonders österreichischen Zusammenhang in dieser Sache hingewiesen. In historischen Schriften wird schon von Habsburger-Kaiser Rudolf I. (1218 –1291) berichtet, dass er ein großer Freund von Mandelmilch und daraus hergestellten Produkten war. Mandelmilch war zudem ein unverzichtbarer Bestandteil von Fastenspeisen, die im Mittelalter an vielen Tagen des Jahres auf den Tisch kamen. Als eine von vielen Quellen sei erwähnt das „Buach von guater Speise“, es gilt als erste Rezeptsammlung in mittelhochdeutscher Sprache und entstand zwischen 1345 und 1352.

Ebenso können Produkte von Sojabohnen historisch auf eine weit zurückreichende Tradition blicken, selbst in Europa. In Paris wurde 1909 die Firma „Usine Caseo-Soiane“ gegründet und am 30. Dezember des gleichen Jahres ein britisches Patent für „pflanzliche Milch und daraus hergestellte Produkte“ eingereicht, das 1912 erteilt wurde. 1913 folgte die erste Produktion in Frankfurt.

Produktion von Pflanzendrinks als starker Wirtschaftsfaktor in Österreich
Die Traditionen für Produkte auf pflanzlicher Basis als Ersatz für oder als Ergänzung zu Kuhmilch reichen also in Europa weit zurück. Sie haben auch in Österreich zur Entwicklung eines bemerkenswerten Wirtschaftsfaktors geführt. Mittlerweile bieten die Marktführer der heimischen Milchwirtschaft Hafer- und Dinkeldrinks aus eigener Produktion zusätzlich zu ihrem Stammsortiment an. Und: Beide befinden sich in Bauernhand.

Großartig unterwegs ist die Firma MONA, die seit 2002 im burgenländischen Oberwart Produkte erzeugt und mittlerweile zu einem US-amerikanischen Lebensmittelverarbeiter gehört. Sämtliche Geschäfte und Produktionen außerhalb der USA werden vom Sitz der MONA in Wien gesteuert. 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind dort beschäftigt, die MONA ist bei Pflanzendrinks aktuell die Nummer 2 in Europa – darauf kann und soll Österreich stolz sein.

Soja aus Österreich ist eine Erfolgsgeschichte
Auf heimischen Feldern ist Soja seit Jahren konstant viertgrößte Ackerkultur mit 70.000 ha. Der Bioanteil beträgt 39 %, das ist Europarekord. „Die Biofläche betrug im vergangenen Jahr hierzulande 26.583 ha und war damit größer als die gesamte Zuckerrübenfläche des Landes, die stark im öffentlichen Interesse stand und für die in der Politik viel Aufhebens gemacht wurde“, sagt Karl Fischer. Österreich ist die gentechnikfreie, regionale Alternative zum Import aus Überseeländern, wo für die Produktion nach wie vor Regenwälder abgeholzt werden, was nicht nur für das Klima untragbar ist. Leider ist das in der Öffentlichkeit noch viel zu wenig bekannt.

Pflanzliche Alternativen sind ein ökologisches Erfordernis
Heimische Sojabohnen und daraus hergestellte Lebensmittel haben – so wie auch Drinks aus Hafer oder Dinkel – nachweisbar einen geringeren ökologischen Fußabdruck als Produkte aus der klassischen Milchwirtschaft. Sie sind nicht nur deshalb ein Produkt der Zeit und ein ökologisches Erfordernis hin zu einer nachhaltigeren Lebensmittelwirtschaft. Fischer sieht diese „als notwendige Ergänzung zum traditionellen Weg, wohl wissend, dass die Milchproduktion auf Dauergrünland für viele Bauern alternativlos ist und eine wunderbare Form darstellt, aus dem für Menschen unverwertbaren Gras wertvolle Lebensmittel zu erzeugen – insbesondere in den ökologisch so sensiblen Berggebieten“.

Mehrwertsteuersatz auf Pflanzendrinks muss jenem der Milch angeglichen werden
„Die Bauern und die Milchwirtschaft haben also gute Argumente zur Verfügung, um ihre wertvollen Produkte zu erklären. Das ist auch gut so“, meint Fischer, „genauso gut muss es aber den Herstellern von Alternativen auf Pflanzenbasis möglich sein, den Konsumentinnen und Konsumenten zu sagen, was Sache ist“. Mit den in Aussicht stehenden Restriktionen wäre das nicht mehr möglich. Ja, es wäre laut Fischer „eine vollkommen ungerechtfertigte weitere Diskriminierung dieser Produkte, schließlich müssen Herr und Frau Österreicher dafür im Geschäft 20 % Umsatzsteuer bezahlen, während klassische Milchprodukte nur mit 10 % Umsatzsteuer belegt sind – eine enorme Ungleichbehandlung, die dringend repariert werden muss!“.

Soviel Angst vor dem Neuen zeugt nicht von allzu großem Selbstvertrauen der traditionellen Milchwirtschaft und ihrer Vertreter. Wenn der Abänderungsantrag AM 171 politisch durchgesetzt wird, dann wäre das aus Fischers Sicht so „als ob man Elon Musk zwar erlauben würde, Elektroautos unter der Marke TESLA zu bauen, aber sie dürften nicht als Autos bezeichnet werden und vier Räder wären ihnen auch noch untersagt“.